Donnerstag, 13. Januar 2011

Austerlitz

Aus dem Schattenreich
Kommentar
Und nur ein paar Tage, nachdem ich so auf eine mir völlig unbekannte Lebensgeschichte gestoßen bin, setzte Austerlitz hinzu, erfuhr ich von einer Nachbarin, die sich selber als eine leidenschaftliche Leserin bezeichnet, daß sie in den Tagebüchern Kafkas einem kleinen krummbeinigen Mann meines Namens begegnet sei, der den Neffen des Schriftstellers beschneidet. Dieser Austerlitz, der schon zweitausendundachthundert Beschneidungen hinter sich hat, führte die Sache sehr geschickt aus. Es war eine dadurch erschwerte Operation, daß der Junge, statt auf dem Tisch, auf dem Schoß seines Großvaters lag und daß der Operateur, statt genau aufzupassen, Gebete murmeln muß. Zuerst wird der Junge durch Umbinden, das nur das Glied frei läßt, unbeweglich gemacht, dann wird durch Auflegen einer durchlochten Metallscheibe die Schnittfläche präzisiert, dann erfolgt mit einem fast gewöhnlichen Messer, einer Art Fischmesser, der Schnitt. Jetzt sieht man Blut und rohes Fleisch, der Moule Richtig: mohel, Beschneider. hantiert darin kurz mit seinen langnägeligen zittrigen Fingern und zieht irgendwo gewonnene Haut wie einen Handschuhfinger über die Wunde. Gleich ist alles gut, das Kind hat kaum geweint. Jetzt kommt nur noch ein kleines Gebet, während dessen der Moule Wein trinkt und mit seinen noch nicht ganz blutfreien Fingern etwas Wein an die Lippen des Kindes bringt. Die Anwesenden beten: Wie er nun gelangt ist in den Bund, so soll er gelangen zur Kenntnis der Thora, zum glücklichen Ehebund und zur Ausübung guter Werke.

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