Sonntag, 16. Januar 2011

Singspielhalle

Aus dem Schattenreich
Kommentar
Gegen Mitternacht stieg die Treppe zu der kleinen Singspielhalle ein junger Mann in einem engen mattgrauen karierten, leicht überschneiten Überzieher hinab. Er bezahlte am Kassentisch, hinter dem ein hindämmerndes Fräulein aufschreckte und ihn mit großen schwarzen Augen geradeaus ansah, und blieb dann ein Weilchen stehn, um den Saal, der drei Stufen tief unter ihm lag, zu überblicken. Er hielt Ausschau nach dem unter dem Namen Siegfried bekannten, wohl nicht mehr als fünf Fuß großen Heldentenor, der mitten in dem zu fortgeschrittener Stunde meist chaotischen Menschen- und Stimmengewoge mindestens zweimal in der Woche hier auftrat. Er war Ende vierzig, trug einen fast bis auf den Boden reichenden Fischgratmantel, hatte einen nach hinten gekippten Borsalino auf dem Kopf und sang O weh, des Höchsten Schmerzenstag oder Wie dünkt mich doch die Aue heut so schön oder sonst irgendein eindrückliches Arioso, wobei er nicht zögerte, Regieanweisungen wie Parsifal droht ohnmächtig niederzusinken entsprechend schauspielerisch zu untermalen.

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